Deutschland digital: Fortschritt mit angezogener Handbremse

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Ein Kommentar und eine Meinung:

Deutschland hat das Internet nicht erfunden – aber die Bürokratie, die es bremst.
Während Europa längst digital denkt und handelt, bleibt die Bundesrepublik das Land der Übergangslösungen, der Modellprojekte und der wohlformulierten Absichtserklärungen.
Man könnte sagen: Deutschland will die Zukunft – aber bitte mit Antrag, Frist und Stempel.

Und doch: So rückständig, wie es oft heißt, ist dieses Land nicht.
Denn zwischen all der Trägheit und Selbstverwaltung entstehen Orte, an denen die Zukunft tatsächlich gebaut wird.


1. Internet und Glasfaser: Der Osten zieht davon

Beim Thema Internet war Deutschland jahrelang der digitale Provinzbewohner Europas.
Während Frankreich, Spanien und Skandinavien früh auf Glasfaser setzten, hielt Deutschland an der Illusion fest, Kupferleitungen seien „ausreichend“.

Doch inzwischen ändert sich das Bild – vor allem im Osten.
In Sachsen, Thüringen und Brandenburg schießt der Glasfaserausbau mit bemerkenswertem Tempo voran.
Private Anbieter wie Deutsche Glasfaser, envia TEL oder Telekom-Tochter GlasfaserPlus investieren massiv.
In Regionen wie der Oberlausitz oder dem Burgenlandkreis liegen die Ausbauquoten bereits über 60 Prozent – ein Wert, von dem westdeutsche Flächenländer oft nur träumen.

Der Osten, lange belächelt, wird zum Testfeld des digitalen Aufbruchs.
Während man anderswo noch über Zuständigkeiten diskutiert, werden dort Kabel verlegt.


2. Kartenzahlung: Vertrauen ist gut, Akzeptanz ist besser

Deutschland ist zwar immer noch ein Bargeldland, doch die Veränderung ist deutlich spürbar. Besonders im Osten hinkt die Akzeptanz digitaler Zahlungsmittel hinterher. Meiner Meinung nach gilt immer noch der Grundsatz „Bares ist Wahres“, und Geschäfte sind gegenüber Kunden, die mit Karte zahlen, oft unfreundlich. Es ist höchste Zeit, dass digitale Zahlungssysteme im Alltag angekommen sind – vom Supermarkt bis zum Kiosk. Dank moderner Terminals und der wachsenden Akzeptanz von NFC sollte die EC-Karte kein Tabu mehr sein, sondern ein praktisches Werkzeug.


3. Mobilfunk und 5G: Empfang mit Lücken, aber Bewegung

Funklöcher gehören noch immer zum deutschen Landschaftsbild.
Doch der Netzausbau nimmt Fahrt auf.
Telekom, Vodafone und Telefónica investieren Milliarden in 5G, und die Netzqualität verbessert sich spürbar.
In Sachsen und Brandenburg entstehen zunehmend Regionen mit nahezu flächendeckender 5G-Abdeckung – getrieben durch geringere Bürokratie und kommunale Kooperation.


4. E-Mobilität: Fortschritt mit Ladehemmung

Deutschland produziert Elektroautos, die technisch zur Weltspitze gehören könnten, wären die Preise nicht so deutlich höher als bei ausländischen Modellen und das Ladeökosystem nicht so langsam im Aufbau. Die Zahl der Ladepunkte steigt stetig, Schnelllader entlang der Autobahnen sind längst Standard. Besonders im ländlichen Raum gibt es mittlerweile mehr Ladesäulen als Tankstellen und deren Tanksäulen. Zwar lädt ein E-Auto nie so schnell wie man es vom Tanken gewohnt ist, aber auch das wird sich in Zukunft ändern.

Positiv: Die Förderung durch Bund und Industrie zeigt Wirkung.
Unternehmen wie EnBW, Ionity und Fastned treiben die Vereinheitlichung voran, Stadtwerke investieren massiv.
Was fehlt, ist nicht Infrastruktur, sondern Vereinfachung.
Doch auch hier gilt: Der Trend zeigt nach vorn – endlich.


5. Künstliche Intelligenz: Exzellenz trifft Verwaltung

Deutsche KI-Forschung ist brillant, aber behäbig.
Institute wie das DFKIFraunhofer IAIS oder die TUM liefern Weltklassearbeit – nur die Übersetzung in marktreife Produkte bleibt schleppend.
Deutschland denkt KI analytisch, nicht disruptiv.
Man reguliert, bevor man ausprobiert.

Und doch: Es entsteht ein Bewusstsein.
Unternehmen wie Aleph Alpha aus Heidelberg beweisen, dass deutsche KI-Modelle international mithalten können – mit Fokus auf Datenschutz und europäische Werte.
Das ist weniger laut als das Silicon Valley, aber nachhaltiger gedacht.


Wo Deutschland wirklich besser ist

So leicht es ist, über Deutschland zu spotten – ganz hinten steht das Land nicht.
Denn während andere digital glänzen und strukturell wackeln, baut Deutschland langsam, aber solide.

1. Halbleiter: Europas Herz schlägt in Sachsen

Der wohl größte Coup der letzten Jahre:
TSMC, der weltgrößte Chipproduzent aus Taiwan, errichtet gemeinsam mit Bosch, Infineon und NXP eine milliardenschwere Halbleiterfabrik in Dresden.
Ein Standort, der Europa strategisch unabhängiger machen soll – und Sachsen zur europäischen Silicon Saxony-Hochburg ausbaut.
Die Investition ist mehr als Symbolpolitik: Sie zeigt, dass Deutschland für Hochtechnologie noch immer ein sicherer, verlässlicher Standort ist.


2. Zukunftslabor Lausitz: Smart Mobility mit Substanz

Auch Hoyerswerda mischt mit:
Für rund 86 Millionen Euro entsteht dort das Smart Mobility Lab, ein Forschungszentrum für Elektromobilität, KI-gestützte Fahrzeugsteuerung und nachhaltige Verkehrssysteme.
Das Projekt ist Teil des Strukturwandels nach dem Braunkohleausstieg – und steht exemplarisch für einen Wandel mit Substanz.
Wo früher Energie verbrannt wurde, wird jetzt Zukunft entwickelt.


3. Forschung, Datenschutz, Substanz

Deutschland baut langsam, aber gründlich.
Die Forschung ist solide, die Datensicherheit vorbildlich, die Infrastruktur stabil.
In einer Zeit, in der Geschwindigkeit oft über Substanz gestellt wird, bewahrt Deutschland etwas, das langfristig wertvoll bleibt:
Verlässlichkeit.


Fazit: Langsam ist nicht dumm

Deutschland ist nicht das Land des rasanten Fortschritts, sondern des nachhaltigen Aufbaus.
Man baut hier keine Luftschlösser, sondern Fundamente.
Der Weg ist beschwerlich, die Bürokratie lähmt, aber dort, wo investiert wird, entsteht Zukunft – echt, greifbar, langlebig.

Ja, Deutschland ist rückständig – in vielem.
Aber es ist besser, langsam aufzubauen, als schnell zu verpuffen.
Wenn in Dresden Chips gefertigt und in Hoyerswerda Mobilität erforscht wird, dann beweist das eines:
Das Land hat verstanden, dass Fortschritt keine Frage der Geschwindigkeit ist – sondern der Richtung.


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